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Trinität, Glaube und Wissen


8. Ich bin das Licht der Welt

In diesem Zusammenhang interessiert uns die Frage nach dem Wesen des Ich und dem Wesen des Lichts, welche beide in knappster Form miteinander verschmolzen sind  in der Aussage Jesu (Joh 8, 12)

    ἐγὼ εἰμι τὸ φῶς τοῦ κόσμου

    Ich bin das Licht der Welt.

Was sagt uns die empirische Wissenschaft über das Ich, und was sagt sie uns über das Licht?

Das Ich ist Gegenstand der Neurowissenschaften und der Psychologie, das Licht ist Gegenstand der Physik. Beim „Ich“ kommt man bis zur Illusion des Ich – dem Ich als Konstrukt des Gehirns. Diese Aussage ist ja nicht falsch, sie ist nur unvollständig, denn die materialistische Auffassung, nach welcher die Materie das Ursprüngliche ist, basiert auf Voraussetzungen, die sie selbst nicht einhält, wie ich weiter unten kurz zeigen will.

Beim Licht kommt man in der Physik bis zu masselosen „Teilchen“, den Photonen – Elementarteilchen, die sich nur unter bestimmten Bedingungen lokalisieren lassen; wohingegen unter anderen Bedingungen sich ihr Aufenthaltsort nur mit einer errechneten Wahrscheinlichkeit bestimmen lässt. Begrifflich wird dieses mal-so-mal-so umschrieben mit dem sogenannten Welle-Teilchen-Dualismus des Quantenobjekts. Dazu mehr im nächsten Kapitel.

Das heißt aber nichts anderes, als dass uns bei näherer Betrachtung sowohl die Realität des Ich entschlüpft als auch die Realität des Lichtes. Dabei setzen wir doch beide mit Selbstverständlichkeit als Realitäten voraus, bevor wir uns bemühen, ihre Eigenschaften im Einzelnen zu erkunden.

Mehr noch, wir sind geradezu gezwungen, in naiver Weise an die Realität des Ich und des Lichtes zu glauben, da wir eine Grundlage benötigen, von der aus wir unsere Hypothesen überprüfen können. 

Wir können also weder das Ich noch das Licht „dingfest“ machen. Warum hat aber diese Erkenntnis für unsere Alltagsempfindung keine Konsequenz? Ganz einfach aus dem Grund, weil wir sie einfach nicht auf uns selbst anwenden. Zu sagen „Ich bestehe aus Elementarteilchen“ ist ein Bonmot, eine Gedankenlosigkeit, die zu nichts verpflichtet.

Die moderne Physik betrachtet Elementarteilchen zwar als  Bausteine der Welt – kleinstmögliche Körper, denen bestimmte Grundkräfte gewissermaßen anhaften, beispielsweise schwache oder elektromagnetische Wechselwirkung, aber diese „Bausteine“ sind bei näherer Betrachtung doch nur „Zustände“, deren Eigenschaften oder Kräfte bei anderen Elementarteilchen gewisse Zustände hervorrufen oder ändern können.

Zusammengesetzt mit der Aussage „Mein Gehirn konstruiert mein Ich“ kommen wir zur Feststellung „Mein Gehirn, das aus Elementarteilchen besteht, konstruiert mein Ich“. Diese Aussage mag logisch korrekt sein; wir finden uns aber auch hier als lebendiges Wesen nicht wieder. Das besitzanzeigende Fürwort „mein“ (Gehirn) setzt ein dem Gehirn übergeordnetes Ich ja gerade voraus, das dann wiederum mithilfe des Gehirns mein weiteres Ich konstruiert. Insgeheim verlassen wir uns gerade auf die Existenz dieses übergeordneten Ichs.

Weil wir die Konsequenzen unserer Erkenntnisse in naiver Weise für uns selbst außer Acht lassen – wir treiben eigentlich ein doppeltes Spiel –, können wir trotz der Widersprüchlichkeiten unserer Erkenntnisse in mehr oder weniger zufriedenstellender Weise mit wissenschaftlichen Ergebnissen arbeiten.

Das heißt nicht, dass es nicht profunde Überlegungen zur Tragweite bestimmter Forschungsergebnisse gibt; ich komme im 10. Kapitel, Das arithmetische Paradoxon, darauf zurück. Es heißt nur, dass sie nicht notwendigerweise unser Handeln prägen.

Dieses „Selbstanwendungsverbot“ gibt es in neuen Testament gerade nicht. Hier folgt aus dem „Ich bin das Licht der Welt“ des Gottessohnes eine Konsequenz für die Jünger:  ὑμεῖς ἐστε τὸ φῶς τοῦ κόσμου / Ihr seid das Licht der Welt (Matt 5, 14) Diese beiden Aussagen sind komplementär zu sehen, Jesus „macht“ seine Jünger zum Licht der Welt.

Auch hier geht es um eine Zustandsveränderung durch Kontakt, durch Übertragung (Transsubstantiation), aber es geht genau um die Kräfte, die aus der modernen Wissenschaft herausgefallen sind, nämlich die Lebenskräfte. Man kann ja nicht behaupten, dass schwache oder elektromagnetische Wechselwirkung als Lebenskräfte verstanden werden. Ob sie es sind, ist eine andere Frage, aber dass sie also solche nicht aufgefasst werden, zeigt sich schon daran, dass keiner gegen das Pressen von Licht durch kleinste Löcher und andere Quälereien protestiert.

Bei „Ihr seid das Licht der Welt“ handelt es sich somit um eine qualitative oder substantielle Veränderung, die geschichtlich gesehen der Alchemie entspricht und nicht dem Verständnis der modernen Physik.

Die Alchemie beschäftigt sich mit der Umwandlung von den in der Natur vorhanden Stoffen oder Elementen, also von einer Qualität in eine andere, unter Benutzung von  Lebenskräften, was man auch als die Herstellung von Gold bezeichnete oder die Suche nach dem Heiligen Gral: Alchemie sucht Weisheit, nicht Wissen. Es ist das, was Goethes Faust benennt „Dass ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält“. Es sind die Prozesse, die in den Mysterien stattfanden und die im Mysterium vom Golgatha offenbart wurden. Daher gibt es neben der weißen Magie auch die schwarze Magie.

In dieser Hinsicht könnte man Jesus Christus als die höchste Lebenskraft bezeichnen, was auch zum Ausdruck kommt im vollständigen Satz aus Johannes 8, 12

    Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Nun kann man bei der Untersuchung des Ich, dem ja abgesehen von der Erscheinung des Christus auf Erden kein „materielles Gegenstück“ entspricht, schwerlich von einer qualitativen Herangehensweise sprechen: das Ich erscheint uns in der Betrachtung immer als Punkt ohne Ausdehnung. Die Empfindung für das Ich ändert sich aber, wenn wir das Ich erweitern zum Ich-Bin, also vom Ich bin = Licht der Welt  zum Ich bin = wer mir nachfolgt. Das Ich wird tatsächlich weiter, aber auch unschärfer, ähnlich dem Elementarteilchen, das an Ortschärfe verliert, wenn wir uns auf seinen Impuls konzentrieren.

Das reine „Ich bin“ – das „ego eimi“ ohne Prädikat – tritt an anderen Stellen in Johannes 8 auf. In der Übersetzung der Lutherbibel ist ein „es“ eingefügt – „ich bin es“–, weil sonst etwas zu fehlen scheint, aber dieses „es“ ist eine Übergenauigkeit, die letztendlich vom „ich bin“ hinwegführt zum einem Objekt, dem „Es“. So im Vers 24:

    So habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden. (Joh 8, 24) 

Dieselbe Stelle lautet in der Übersetzung von Emil Bock:

    Wenn ihr euch nicht mit der Kraft meines Ich durchdringt, so werdet ihr der Sünde und dem Tod verfallen.

Und hier Vers 28, zunächst in der Übersetzung der Lutherbibel 2017

    Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir aus tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich. (Joh 8, 28) 

Und bei Emil Bock:

    Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöhen werdet, so werdet ihr erkennen, das Ich bin der Ich-bin, und dass ich nichts von mir aus tue, sondern das verkündige, was mich der Vater lehrt.

Im „Ihr seid das Licht der Welt“ dehnt sich das Ich über das Individuum „räumlich“ hinaus; zeitlich gesehen dehnt es sich über seine an die physische Existenz gebundene Seinsform hinaus, das heißt, über Entstehen und Vergehen (Tod) hinaus.

Eine Teilnahme des Individuums an einem „Ich-bin“ als Welten-Ich ist eine Möglichkeit, die auch von der Psychologie in Betracht gezogen wird, wenn auch als Glied einer Art von genetischem Code. Beispielsweise können solche Begriffe wie das „kollektive Unbewusste“ oder das „Über-Ich“ als Vorstellung vom Vorhandensein einer psychischen Struktur gelten, die sich vererbt.




 (E-E) Evgenij Kozlov Ай Love Ю / I Love You Druck auf Leinwand, übermalt, 155 x 112 cm, 2010 / 2019 Aus dem Zyklus Bek XX / Jahrhundert XX

(E-E) Evgenij Kozlov
Ай Love Ю / I Love You
Druck auf Leinwand, übermalt, 155 x 112 cm, 2010 / 2019
Aus dem Zyklus Bek XX / Jahrhundert XX




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Veröffentlicht 6. Dezember 2021