(E-E) Ev.g.e.n.i.j ..K.o.z.l.o.     Berlin                                                  


      (E-E) Evgenij Kozlov: ART >>

Trinität, Glaube und Wissen


2. Wesensgleichheit

Das Grundproblem der Trinität, wie sie historisch diskutiert wurde, ist die Wesensgleichheit Ihrer Erscheinungsformen Vater, Sohn und Heiliger Geist – der sogenannten Hypostasen oder Seinsweisen Gottes (nach dem Griechischen hypounter und stasis – von histemi, stehen). Im ersten Konzil von Nikäa (325) wurde die Wesensgleichheit (ousia) der drei Hypostasen dogmatisch festgelegt.

Was ist eine Wesensgleichheit? Eis und Dampf sind Erscheinungsformen des Wassers. In dieser Hinsicht sind sie wesensgleich, in ihrem Verhalten unterscheiden  sich alle drei aber beträchtlich voneinander. Es kommt somit auf die Betrachtung an, ob ich von einer Wesensgleichheit spreche oder nicht. Steht das Verhalten für mich im Vordergrund, sind es drei „Wesen“: fest, flüssig, gasförmig. Betrachte ich ihre molekulare Zusammensetzung, dann sind sie wesensgleich.

Die gegenwärtige Naturwissenschaft sucht solch eine Wesenseinheit in den Erscheinungsformen der Natur, aber nicht in den wahrnehmbaren Phänomenen, sondern in der subatomaren Materie, den sogenannten Elementarteilchen bzw. ihren „Zuständen“.

In der Physik spricht man demzufolge von der „großen vereinheitlichten Theorie“, in die sich die Gravitation allerdings nicht integrieren lässt. Interessanterweise nimmt die Anzahl der Elementarteilchen zu, je länger man forscht, und nicht ab. Nach dem Stand der Dinge handelt es sich um 67 Arten von Elementarteilchen. Siehe Wikipedia, Elementarteilchen

Wenn man Elementarteilchen als Bausteine der Welt auffasst, ergibt sich hier allerdings ein Paradox.

Philosophisch betrachtet, müsste der Begriff der, der am meisten andere „Dinge“ in sein Wesen aufnimmt, auch der am wenigsten eng definierte Begriff sein  anders ausgedrückt, am wenigsten Eigenschaften ausschließen. Denn was in der Begriffshierarchie weiter oben steht, schließt mehr ein, als  das, was darunter steht.

So ist zum Beispiel das „Sein“ umfassender als das „Dasein“ und „Tier“ umfassender als „Säugetier“; „Sein“ und „Tier“ besitzen daher weniger Ausschlusskriterien als „Dasein“ und „Säugetier“, und dadurch können sie mehr „Dinge“ in sich aufnehmen, nämlich auch solche, die einander gegenseitig ausschließen. Etwas kann nicht gleichzeitig ein Säugetier und ein Fisch sein, aber „Tier“ enthält beide. Tier hat somit den größeren „Umfang“, wie Gottlieb Frege es nannte.

Das Sein ist ebenfalls umfangreicher als das Dasein, da das Dasein nur die Dinge umfasst, die sich bereits manifestiert haben. Nun ist es natürlich schwierig, sich etwas als seiend vorzustellen, ohne dass es auch „da“ ist, aber denkerisch kann man das tun, da zum Sein gehört, dass etwas hervorbringen kann, also ein aktives Potential besitzt. Es ist schöpferisch.

Den größten „Umfang“ hat demzufolge Gott, der über dem Sein steht, da er das Sein erst geschaffen hat. Daher sind die Attribute Gottes unzählbar und seine Möglichkeiten unerschöpflich, wie man beispielsweise im Sonnenhymnus des Echnaton sieht (in der Übersetzung von Jan Assmann):

    Schön erscheinst du

    im Lichtland des Himmels,

    du lebende Sonne, Ursprung des Lebens.

    Du bist aufgegangen im östlichen Lichtland,

    und du hast jedes Land mit deiner Schönheit erfüllt.

    Du bist schön, gewaltig und funkelnd,

    du bist hoch über jedem Land…

Bei den Elementarteilchen, die zum Teil mit ihren „Zuständen“ in der Lage sind, Materie zu schaffen, ist es jedoch genau umgekehrt: mit einer minimalen Zahl an Eigenschaften versehen – Ladung, elektromagnetische, starke und schwache Wechselwirkung – schaffen sie eine maximal facettenreiche Welt.

Gehen wir von dieser Annahme aus, und gehen wir weiter davon aus, dass Gott als Gegenstand der Erkenntnis nicht hinter den Dingen ist, sondern in den Dingen (daher kann man ihn auch nicht abbilden, weil man dafür die Gesamtheit der Dinge abbilden müsste), dann löst sich Gott für die menschliche Erkenntnis in eine unwahrscheinlich große, aber doch wohl endliche Zahl von Elementarteilchen auf, die ihrerseits eine geringe Zahl absolut identischer, also wesensgleicher Eigenschaften besitzen.

Das heißt, das Wesen mit der größtmöglichen Zahl von Eigenschaften manifestiert sich paradoxerweise in „Dingen“ mit der kleinstmöglichen Zahl von Eigenschaften.

Anstatt in den Bausteinen der Welt Wesensgleichheit zu suchen, kann man jedoch auch die Metamorphose der Substanz untersuchen, die Wandlung ihrer Erscheinungsformen, also beispielsweise vom Eis zum Wasser zum Wasserdampf. Jetzt entwickeln wir die Begriffe auseinander heraus, so wie ich das im ersten Punkt des Essays gemacht habe, angeregt durch Evgenij Kozlovs Gedanken: 1. Inspiration, 2. Gedanke, 3. Sinn. Der Mensch ordnet diese Begriffe jeweils unterschiedlichen Erfahrungen zu und gewinnt dadurch ein Verhältnis zu seinem eigenen Ich. Bei Eis – Wasser – Dampf ist es sein Verhältnis zur Wärme. Hier ist die Wesensgleichheit der Phänomene keine absolute, sondern eine partielle. Wir differenzieren.

Kompliziert ist es allerdings, aus dem Begriff des Elementarteilchens den Begriff Gottes herausentwickeln, so lange es keine „große vereinheitlichte Theorie“, gibt, also keine einzige Klasse Elementarteilchen. Unsere Intuition sagt uns, dass wir nur von der Einheit zur Einheit zu gelangen können.




 (E-E) Evgenij Kozlov Bo / Wow Druck auf Leinwand, übermalt, 155 x 112 cm, 2019 Aus dem Zyklus Bek XX / Jahrhundert XX

(E-E) Evgenij Kozlov
Bo / Wow
Druck auf Leinwand, übermalt, 155 x 112 cm, 2019
Aus dem Zyklus Bek XX / Jahrhundert XX




Nächste Seite: Kapitel 3. Theodizee >>


Veröffentlicht 6. Dezember 2021