Die Kunst der Zukunft Seite 2


Evgenij Kozlov (E-E) und Hannelore Fobo im Gespräch, 1991

Искусство будущего стр. 1 стр. 2 стр. 3 стр. 4
Die Kunst der Zukunft Seite 1 Seite 2 Seite 3 Seite 4 Kommentar (deutsch)
The Art of the Future page 1 page 2 page 3 Page 4


E-E: Wie sein Endprodukt aussehen kann, ist nicht festgelegt. Aber wenn es fertiggestellt ist und der Zuschauer es mit seinen Augen sieht, ist von vorneherein dafür gesorgt, dass er es versteht. Wenn nicht in der gleichen Sekunde, dann nach Ablauf einer bestimmten Zeit, nach einer Minute, einem Jahr, zehn Jahren. Das Kunstwerk ist fertiggestellt und somit auf Verständlichkeit programmiert. Umgekehrt kann man sagen, es konnte deshalb fertiggestellt werden, weil schon ein potentielles Verständnis dafür existiert, das heißt, wenn es nicht sofort verstanden wird, dann später. Deshalb wird jegliche Tätigkeit, die aus der Kunst entsteht, für alle Zeiten auf dem klassischen Ansatz beruhen. Der klassische Ansatz bedeutet eben dies: die Verständlichkeit der Kunstwerke, die heute und in der Zukunft hergestellt werden, ist mit ihrem Erscheinen bereits gegeben, dazu werden sie ganz eigentlich geschaffen.

Der wirklich neue Schritt, den die Kunst geht, wo sie über den klassischen Ansatz hinausgeht, das ist die Kunst, die im Innern des Menschen entsteht, der sie gleichzeitig schafft. Um diese Kunst in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen, ist eine bestimmte innere Freiheit nötig, die aber auch äußerlich vorhanden sein muß. Grundlegend für diesen schöpferischen Prozess ist, dass der Mensch die Kräfte, die ihm dabei helfen, in seiner inneren Welt die neue Kunst zu schaffen, fühlen und sehen muss. Wenn er diese fühlt, von ihnen weiß und sie sieht, - wenn diese Welt in ihm entsteht, wird, egal, was er dann auch immer tut, dies allen Leuten verständlich und unverzichtbar sein. Denn was in ihm vorgeht, damit diese Kunst innerlich entstehen kann, das wird nur dafür gemacht, damit die empfangene Information eine visuelle Form erhalten kann. Daher ist es nicht möglich, ihr die visuelle Existenz zu verweigern. Ihr die visuelle Form zu geben, ist die Aufgabe des Künstlers.

H: Der Betrachter kann aber nicht verstehen, dass vor der visuellen Form die Kunst der Zukunft existiert; für ihn bleibt ein Bild ein Bild, oder?

E-E: Es ist so, dass die Zeit kommen wird, wo bestimmte Tore im Innern des Menschen, in jedem Betrachter geöffnet werden, in seinem Gehirn oder in seiner Seele, jedenfalls, was den inneren Zustand eines jeden einzelnen Menschen betrifft, und dann wird der Betrachter selbst zum Künstler. In der Regel fühlt ein Betrachter, wenn er ein Meisterwerk der Kunst aus der Vergangenheit oder Gegenwart anschaut, eine konkrete Trennlinie zwischen sich und dem Künstler: dort ist der Künstler, und hier bin ich, der Betrachter.

In der Zukunft wird das nicht so sein, dann wird jeder ein Künstler sein. Es wird der Augenblick kommen, wo die Kräfte, die in das Innere des Menschen die dafür bestimmten Informationen eingeben, die Fähigkeiten des Menschen, darunter auch das Bewusstsein, derart mächtig entwickeln, dass dann jeder Mensch die Kunst der Zukunft schafft, was bedeutet, dass jeder Künstler sein wird. Dies wird sich in jedem Menschen ereignen. Es wird sich immer mehr und mehr entwickeln. Die Kunst der Zukunft aus sich zu schaffen, wird dann für alle genauso natürlich sein wie heute für jeden das Schreiben und für einige bereits das Zeichnen.

H: Das heißt, jeder wird dann das Bedürfnis haben, das auch auszudrücken.

E-E: Ja, das wird zukünftig ins Leben einfließen. Es wird ganz natürlich sein.

H: Aber nicht unbedingt durch Zeichnungen.

E-E: Es wird sich nicht unbedingt in Zeichnungen niederschlagen. Es kann jede beliebige Ausdrucksform annehmen.

H: Vielleicht zeigt es sich nur in seinem unmittelbaren Handeln.

E-E: Ja, vielleicht so. Es wird aber auch später diejenigen geben, die unbedingt ihre Hände benutzen wollen oder müssen. Das ist für den Menschen übrigens gerade so natürlich wie das Leben selbst, etwas zu tun. Er kann nicht bloß aufwachen, sich hinsetzen und denken. Er hat das Verlangen, seine Gedanken auf irgendeine Weise zu fixieren.

H: Was meinst Du mit „fixieren“?

E-E: Entweder durch das Aufschreiben oder durch das Sprechen oder Singen ... etwas zu tun eben.

H: Das auszudrücken, was in seinem Inneren vorgeht?

E-E: Ja, ein Teil der Leute wird das fixieren für die anderen, auf rein visuelle Art. Dann kommt der Moment, wenn es nicht mehr visuell fixiert zu werden braucht, weil man es einander bereits innerlich übergeben kann. Das wird dann der nächste Sprung in der Entwicklung der menschlichen Zivilisation sein, wenn man sich auf der Ebene des inneren Gesprächs unterhalten kann.

H: Direkt, ohne äußere Formen.

E-E: Ja, ohne äußere Formen.

H: Ohne Worte.

Die äußeren Formen des Ausdrucks bleiben trotzdem, genauer gesagt, sie bleiben solange bestehen, wie die äußere Hülle des Menschen existiert, sein Körper, seine Augen, Hände etc. Aber letztendlich geht der Mensch doch über zu den nächsten Arten von Energie: er wird dann keine Hülle mehr haben. Aber wann das sein wird, bleibt im Augenblick noch ein Rätsel.

H: Ich möchte gerne wissen, warum die Kunst der Zukunft im Augenblick nur bei bestimmten Personen deutlich in Erscheinung tritt, zum Beispiel bei dir: Auf welche Weise wird sich die Kunst der Zukunft über die Menschen verbreiten? Sollst du darüber sprechen, damit sie verstanden wird, wenn sie bei allen auftaucht? Was meinst du?


weiter: Die Kunst der Zukunft, Seite 3 >>

Evgenij Kozlov über die Kunst der Zukunft