Hannelore Fobo, September 2007


Die Kunst der Zukunft, Kommentar zum Gespräch mit Evgenij Kozlov, Seite 3

Kommentar
Seite 1
Kommentar
Seite 2
Kommentar
Seite 3
Kommentar
Seite 4
Die Kunst der Zukunft

Auf mein hartnäckiges Insistieren, ob denn nicht doch das Aussprechen der Idee eine Bedeutung für ihre reale Existenz hat oder ob sie „einfach nur so“ in ihm hätte geboren werden können, erhalte ich zur Antwort

„Nein, ich glaube, sie ist nicht einmal genau in diesem Moment geboren worden, als ich sie erhalten habe. Ich glaube, sie lag schon in der Luft. Deshalb könnte es übrigens wichtig sein, sie auszusprechen, das heißt, sie in einer dem Menschen verständlichen Form zu fixieren."

Dieses „ins Leben treten“ der „Kunst der Zukunft“ – sei es ein mithilfe eines besonders empfänglichen Individuums sei es ohne, das bleibt dahingestellt – hat eine Bedeutung für alle Menschen

„Er wird eben genau dies (= die Kunst der Zukunft) fühlen, vom jetzigen Moment an, er wird das in sich entwickeln, es wird sich in ihm auf natürliche Weise entwickeln, weil er es verstanden hat und weil er deshalb danach strebt."

Diese Fähigkeit des Schaffens im Sinne einer wirklichen Neuschöpfung entwickelt der Mensch auch, indem er sich zu einem Kunstwerk in Beziehung setzt

„ ... dass das, was er selbst fühlt und sieht, nämlich die innere Welt des Künstlers, dass diese so groß und mächtig ist, dass er sich vor allem sicher ist seiner eigenen Kunst, seines eigenen Schaffens, das er in sich trägt. ....... Das Bild ist dazu geschaffen, dass im Betrachter dessen innere Welt geboren wird und entsteht, und damit sich diese innere Welt so weit wie möglich entwickelt."

Er setzt damit seine individuelle Entwicklung fort

„Jeder Mensch muss sich maximal verschieden vom anderem entwickeln. Vielleicht ist die Kunst der Zukunft genau dazu da, damit die individuellen Eigenschaften eines jeden Menschen so weit wie möglich entwickelt werden. ......... Die Kunst existiert nur zu dem Zweck, dass das, was von ihr berührt wird, sich in großem Maßstab, in großen Formen entwickelt. Und das wird die neue Kunst sein, im Sinne der Kunst der Zukunft."

Insbesondere ist dies der Fall, wenn der Betrachter sich einem Meisterwerk gegenüber sieht

„Ein Meisterwerk zeichnet sich dadurch aus, dass in es eine ungeheure Energie gelegt wurde, eine riesige Masse dieses – inneren Zustandes, so viel wie möglich, so dass jede Person, die es sieht, dank dieser großen Energie und dieser Masse des inneren Zustand des Künstlers fähig ist, sich selbst maximal weiterzubewegen."

Zum Ende des Gesprächs erfährt der Gedanke der Geburt der Idee eine gewisse Präzisierung. Das Neue, das jetzt in die Welt getreten ist, ist nicht die Energie, die die innere Welt bildet, aus der heraus der Künstler schöpft und schafft, denn diese ist ewig, sondern die Tatsache, dass der schöpferische Prozess zunehmend als bewusster Prozess wahrgenommen wird. Dadurch kommt es zur Akzentverschiebung, von der Technik des Ausdrucks zur inneren Entwicklung. Und in diesem Sinne kann es gar keine schlechte Kunstproduktion mehr geben:

„ ... denn wenn er diese innere Welt hat, wenn sie in ihm schon als Kraft existiert, kann er daraus gar nicht etwas Schlechtes machen. Denn sie ist dann für ihn so natürlich wie die Luft. Und auch für den Betrachter ist es dann natürlich, sich zu entwickeln, innerlich, beim Schauen oder Hören oder dergleichen, im Ungang mit dem Menschen oder seinem Kunstwerk."

Exkurs

Das unendliche Problem philosophisch empfindender Menschen, die Beziehung zwischen der unsinnlichen Idee und sinnlicher Wirklichkeit (Erscheinung) zu verstehen und die damit verbundene Problematik, die Idee in dem Augenblick, wo man meint, sie verstanden zu haben, nicht bereits wieder zu sinnlichen Erscheinung zu machen, ist erstmals ausführlich von Platon entwickelt worden. Platon will in seinen Lehrgesprächen ausgehend vom Sinnlichen als dem Vergänglichen bis zur Idee – eigentlich der Urgestalt – als dem Ewigen und damit Wahren führen. Ich gehe aber davon aus, dass Platon eine erlebte “Anschauung“ des Unsinnlichen hatte, sozusagen ein intimes Verhältnis. Die Schwierigkeit des Verständnisses liegt für den heutigen Menschen darin, dass er die Idee, die Urgestalt, nicht als lebendige oder gar ursprüngliche spürt, sie ist für ihn vielmehr eine willkürliche Summierung gewisser Eigenschaften der sinnlichen Erscheinung, welche durchaus einen Gebrauchswert hat, aber nichts Ursprüngliches bedeutet. Sie ist für ihn das, was Marx als „Überbau“ bezeichnet hat, für die Gesamtheit der Erscheinungen etwas Zusätzliches, aber nicht etwas Konstituierendes.

Daher spricht man heute gerne von der „Erfindung“. Die Erfindung beruht auf der Beobachtung eines regelhaften Zusammenhangs zwischen Erscheinungen der sinnlichen Welt, den Naturobjekten, welcher als Gesetzmäßigkeit ausgedrückt werden kann, z.B. als Gesetz der Schwerkraft. Diese Gesetze kann der Mensch auf die Stoffe anwenden und damit etwas Neues gestalten, etwas „erfinden“. Der Mensch erfindet sich Werkzeuge. Ein Werkzeug ist die geschickte oder auch geniale Nutzung von Naturprozessen. Die Gesetze sind in den Naturprozessen enthalten; sie drücken sich in einer linearen Abfolge von Geschehnissen aus, der Mensch erkennt sie und nutzt sie. Der Mensch kann aber nur bestimmte Naturprozesse für sich nutzbar machen, Prozesse der mechanischen Einwirkung, die einfachste Ebene des Ursache-Wirkung-Prinzipes, und Prozesse der Wärmewirkung, die er als mechanische interpretiert. Mechanisch bedeutet die Einwirkung von Masse A auf Masse B durch Druck als Folge der Veränderung der Lage von Masse A. Überhaupt ist er geneigt, aus seiner geistigen Trägheit heraus nicht nur chemische, sondern sämtliche Lebensprozesse als mechanische Abläufe zu interpretieren: organische wie seelische und geistige.

Geistige Leistungen, nämlich schöpferische, sei es nun die gesellschaftlich organisierende Kunst als Regierungskunst oder die Künste im engeren Sinne, glaubt er ebenfalls als Erfindungen in diesem Sinne ansehen zu müssen: die Welt war für sich genommen schon fertig, bevor der Mensch begann, durch seine Erfindungen auf sie einzuwirken, weil sie ihm nicht ausreichend war, und zwar nach seiner engumgrenzten Definition von Nutzen und Zweck. Und wiederum: alles, was der Mensch schafft, wirkt zwar auf die Welt zurück, und es ist nicht vorhersehbar, ob die Welt letztendlich durch die menschlichen Erfindungen ihm adäquater wird oder ob er sie mit seinem Schaffen zerstört, bevor sie ohnehin vergeht. Doch gibt es eine klare Grenze zwischen der Welt und dem Menschen: die Welt, die alles das ist, was der Mensch nicht ist (nicht zu seinem Ich hinzurechnet), erleidet passiv als mechanischer Körper die Taten des Menschen, sie reagiert, aus ihr kommt keine aktive Kraft.
Sie ändert sich nicht im eigentlichen, als mechanischer Körper bleibt sie, was sie ist, wie ein Stein auch dann ein Stein bleibt, wenn er in Stücke geklopft wird.

Es ist aber eine gedankliche Unmöglichkeit in dieser Auffassung, weil sie den Menschen ja letztendlich auch nur als mechanischen Körper begreifen kann, da er doch Teil dieser Welt ist. Sie steht somit vor der logischen Schwierigkeit, eine erste Stoßbewegung (einen Urknall) ohne etwas Bewegendes behaupten zu müssen und ferner, dass sämtliche Vorgänge des Weltgeschehens einschließlich der menschlichen Handlungen mit dem ersten bereits festgelegt sind. Daher muss sie auch in Abrede stellen, dass das Neue wirklich neu ist.

In dem vorliegenden Gespräch gibt es einige Passagen, in denen ein anderer Gedanke angedeutet wird. Das Kunstwerk ist Geburtshelfer einer geistigen Entwicklung des Menschen; das Neue vollzieht sich als Geburt. Eine Geburt in der Seele des Menschen, wie es Platon beschreibt.

„Das Bild ist dazu geschaffen, dass im Betrachter dessen innere Welt geboren wird und entsteht, und damit sich diese innere Welt so weit wie möglich entwickelt. ....... Ein Meisterwerk zeichnet sich dadurch aus, dass in es eine ungeheure Energie gelegt wurde, eine riesige Masse dieses – inneren Zustandes – so viel wie möglich, so dass jede Person, die es sieht, dank dieser großen Energie und dieser Masse des inneren Zustand des Künstlers fähig ist, sich selbst maximal weiterzubewegen. Das ist nicht sehr geschickt ausgedrückt, aber im wesentlichen geht es darum."

weiter >>