Hannelore Fobo, September 2007


Die Kunst der Zukunft, Kommentar zum Gespräch mit Evgenij Kozlov, Seite 2

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Die Kunst der Zukunft

Was ich vielmehr sagen will, ist: es war mir klar, dass für den künstlerischen Impuls, der zum jeweiligen Kunstwerk führt, relativ wenig Aufklärung zu gewinnen ist aus einer äußeren Biographie des Künstlers. Selbstverständlich spielen die äußeren Gegebenheiten des Lebens eine nicht zu unterschätzende Rolle im Werk Evgenij Kozlovs. Was aber die Impulse betrifft, die Quellen, aus denen sich der Gestaltungswille speist, so wird man ihn nicht auf die äußeren Umstände zurückführen können, sondern das seelische Erleben des Künstlers in Betracht ziehen müssen.

Das Gespräch

Meine Neugierde, die das Gespräch im Jahre 1991 veranlasste, hatte daher mit grundsätzlichen Fragen des schöpferischen Prozesses zu tun. Obwohl Evgenij Kozlov nicht in erster Linie Kunsttheoretiker ist, hatte er bereits in verschiedenen kleineren Schriften sein Verhältnis zur Kunst näher beschrieben. Ich hatte sie mit Interesse gelesen und auch häufiger mit ihm über die Kunst gesprochen.

Das Gespräch ist ein Versuch, verschiedene Ansätze und Ideen etwas systematischer zu entwickeln. Es ist wichtig festzuhalten, dass Evgenij Kozlov kein festes System von Anschauungen hat, die der Reihe nach abgefragt werden können. Vielmehr dienen meine Fragen dazu, ihm die Gelegenheit zu geben, bestimmte Gedanken auszuführen und zu vertiefen. Diese Überlegungen geschehen ad hoc, und damit meine ich, dass es Evgenij Kozlov nicht möglich ist, einen bestimmten Gedanken bei einer anderen Gelegenheit in derselben Weise zu reproduzieren. Nicht weniger als das Kunstwerk selbst ist auch der Gedanke über die Kunst abhängig von der Qualität des Augenblicks, welcher zu einer besonderen Empfänglichkeit für bestimmte Intuitionen führt, die der Künstler meist Informationen nennt. Dadurch ergeben sich Nuancen, die in den Äußerungen als Variationen des Themas erscheinen.

Diese Variationen zeigen sich visuell in der Vielgestaltigkeit der Kunstwerke und sprachlich in Formulierungen, die miteinander nicht deckungsgleich sind und sogar manchmal widersprüchlich scheinen. Der künstlerische Impuls setzt sich eben auch in der sprachlichen Gestaltung fort und die Aussage gewinnt mit der Variation der Äußerungen eine spezifische Plastizität, die sich mir als räumliche Empfindung vermittelt. Es ist keine punktgenaue Aussage im Sinne einer logischen Entscheidung (wenn a wahr ist, dann ist das Gegenteil davon falsch), sondern es bleibt im Grunde bei jeder Aussage, bei jeder Affirmation, ein offener, nicht eingeschränkter Bereich, der als etwas Unbestimmtes wahrgenommen wird. Die Aussage erlaubt dadurch nicht nur eine Weiterentwicklung in der Art einer logischen Verknüpfung, sie erlaubt auch eine Entfaltung „seitwärts“ bzw. „schräg nach oben“, d.h. in eine Dimension, die außerhalb der einfachen Sprachebene liegt, welche am meisten der zielgerichteten Kommunikation dient.

Was ich als sprachlichen Raum empfinde, rührt sozusagen aus der Erweiterung der zweidimensionalen Sprachebene in die dreidimensionale Sprachplastizität, in der die Gesetze der Logik nicht die ausschließliche Geltung beanspruchen dürfen, wenn andere Gesichtspunkte in Betracht kommen. Es sind Aussagen der Art:

Primär ist a und b ist nicht primär, aber auch b könnte doch primär sein.

Die Aussagen

Das Gespräch kreist um die Frage, worin der Schaffensprozess des Künstlers seinen Ursprung hat in welcher Weise er vor sich geht. Gleich zu Beginn fällt der Begriff „die Kunst der Zukunft“:

„Die Kunst der Zukunft stellt sich nicht die Frage nach der Technik, mit deren Hilfe der Künstler etwas ausdrücken will. Für sie kommt es auf den inneren Zustand des Künstlers an, auf jenes Gefühl ....ja, hauptsächlich ist es natürlich ein Gefühl, das es ihm ermöglicht, etwas zu empfangen, und durch das er sich innerlich etwas schafft. Anschließend erst, also an zweiter Stelle, entstehen dadurch Bilder oder sonstwas."

Die unmittelbare Tätigkeit des Künstlers ist also eine innerliche, Kunst entsteht im Innern. An anderer Stelle wird betont, dass dieser Prozess unbewusst und willentlich zugleich vor sich geht

„Den Prozess habe ich bisher noch nicht erforscht, er läuft nicht über mein Bewusstsein; ich könnte aber genausogut sagen, dass ich ihn selbst schaffe.“

Aus der inneren Tätigkeit erfolgt die äußere

„Denn was in ihm vorgeht, damit diese Kunst innerlich entstehen kann, das wird nur dafür gemacht, damit die empfangene Information eine visuelle Form erhalten kann. Daher ist es nicht möglich, ihr die visuelle Existenz zu verweigern. Ihr die visuelle Form zu geben, ist die Aufgabe des Künstlers."

Evgenij Kozlov unterscheidet zwischen dem klassischen Ansatz und der Kunst der Zukunft. Die Verständlichkeit des Kunstwerks, der visuellen Form, ist mit ihrem Erscheinen gegeben; das ist der klassische Ansatz:

„Alles, was der Mensch mit seinem Händen schafft – jedes beliebige seiner Bilder, jede seiner Zeichnungen, seiner musikalischen Anordnungen - , ist von vorneherein darauf programmiert, dass es den Menschen verständlich ist, eben weil es in eine den Menschen verständliche Form gebracht worden ist........ Umgekehrt kann man sagen, es konnte deshalb fertig gestellt werden, weil schon ein potentielles Verständnis dafür existiert, das heißt, wenn es nicht sofort verstanden wird, dann später. ....... Deshalb wird jegliche Tätigkeit, die aus der Kunst entsteht, für alle Zeiten auf dem klassischen Ansatz beruhen. Der klassische Ansatz bedeutet eben dies: die Verständlichkeit der Kunstwerke, die in der Zukunft hergestellt werden, ist mit ihrem Erscheinen bereits vorprogrammiert.“

Im Unterschied dazu die Kunst der Zukunft

„Der wirklich neue Schritt, den die Kunst geht, wo sie über den klassischen Ansatz hinausgeht, das ist die Kunst, die im Innern des Menschen entsteht, der sie gleichzeitig schafft.

Die Kunst der Zukunft beschreibt einen Prozess, der die Selbsttätigkeit des Individuums entwickelt und zu einer künstlerischen macht, ein Prozess, der nach und nach alle Menschen ergreift, so dass jeder zum Künstler wird.

„In der Regel fühlt ein Betrachter, wenn er ein Meisterwerk der Kunst aus der Vergangenheit oder Gegenwart anschaut, eine konkrete Trennlinie zwischen sich und dem Künstler. In der Zukunft wird das nicht so sein, dann wird jeder ein Künstler sein, denn es wird der Augenblick kommen, wo die Kräfte, die in das Innere des Menschen die dafür bestimmten Informationen eingeben, die innere Fähigkeit des Menschen, darunter auch das Bewusstsein, derart mächtig entwickeln, dass dann jeder Mensch die Kunst der Zukunft schafft. .... jede beliebige Ausdrucksform wird man dann künstlerisch nennen können."

Was mich besonders interessiert hat, ist die Frage, ob das Neue in dem Augenblick in die Welt tritt, wo es der Menschen mit seinem Bewusstsein ergreift und er darauf seine Aufmerksamkeit richtet, ob dies sozusagen die Geburtsstunde der Idee ist oder ob die Idee schon vorher existiert. Die Frage ist eigentlich paradox: gibt es die Idee der Bewusstseinsentwicklung schon, bevor sie dem Menschen bewusst wird?

Die Antwort scheint zunächst eindeutig:

„Denn die Energie, die diese Information enthält, hat sich ja schon in Bewegung gesetzt. ...... Sie ist bereits ins Leben getreten. Bisher hatten nur wenige ein Bewusstsein davon, und jetzt beginnt der Prozess des bewussten Erfassens dieser in ihrer Energie erhaltenen Information sich auszuweiten. Das Primäre ist ja nicht, dass wir darüber schreiben sollen, damit es alle lesen, sondern dass die Energie geboren wurde, damit sie sich ringsherum verbreiten kann. ....... Sie ist geboren worden und existiert jetzt. .... das Aussprechen kommt danach. Es ist lediglich eine Form, die den Menschen verständlich ist."

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