(E-E) Ev.g.e.n.i.j ..K.o.z.l.o.     Berlin                                                  


      (E-E) Evgenij Kozlov: Leningrad 80s >>

Hannelore Fobo: Die Neuen Künstler, Leningrad (1982-1989)

Wahrheit und Schein als Strategie bei Timur Novikov
und als Transfiguration bei (E-E) Evgenij Kozlov

Symposium Gegen(-)Kollektive • Leipzig, 10. September 2021


Seite 1 – Vortrag: Einleitung

Seite 2 – Timur Novikov: Strategie

Seite 3 – Die Neuen Künstler in Fotocollagen

Seite 4 – (E-E) Evgenij Kozlov: Transfiguration

Seite 5 – Veranstaltung Gegen(-)Kollektive

Seite 6 – Ausstellung in der Galerie KUB


Seite 4 – (E-E) Evgenij Kozlov: Transfiguration

Um einiges komplexer ist Kozlovs Vorgehen bei den Gemälden und hier insbesondere bei den vielfigurigen Kompositionen.

(E-E) Evgenij Kozlov Links: Zentrale Elemente Von Shark / Hai aus den Jahren 1985 bis 1988 Rechts: Hai, 221 x 159cm,1988

(E-E) Evgenij Kozlov
Links: Zentrale Elemente Von Shark / Hai aus den Jahren 1985 bis 1988
Rechts: Hai, 221 x 159cm,1988 more >>



„Hai“ von 1988 integriert eine Vielzahl von Vorlagen und scheint auf den ersten Blick chaotisch aufgebaut zu sein. Wenn man das Bild länger betrachtet, erkennt man jedoch die spiralförmige Anordnung der Figuren um eine blaue Kugel als Achse. Die zentrifugalen Kräfte der Rotation werden durch das rote Kreuz auf Timur Novikovs T-Shirt aufgefangen mehr>>. Vorlage für die Figur ist eine Aufnahme während der Pop Mekhanika Performance Happy New Year mehr>>. Dass die Komposition als solche eigentlich viel mehr umfasst, zeigt sich besonders deutlich am linken Bildrand mit dem Anschnitt eines großen Rades und der gespiegelten Hand. Wir sehen ja nur einen Ausschnitt aus einem größeren Geschehen, nämlich das, was der dreifache Bildrahmen freigibt, welcher der Komposition eine dreidimensionale Tiefe verleiht

Mit Georgy Guryanov, Igor Verichev und Timur Novikov erscheinen drei wichtige Persönlichkeiten aus der Bewegung der Neuen Künstler. Sie müssen sich allerdings gegen den Hai und die weibliche Figur im unteren Bereich des Bildes behaupten. Dazu kommen eine Reihe kleinerer Portraits, darunter Darstellungen von Valery Alakhov, Sergei Bugaev und ein Selbstporträt des Künstlers mehr>>.

Man könnte hier in gewissem Sinne von einer kollektiven Aktion sprechen, und zwar in dem Sinne, dass Kozlov die Dargestellten auf vielfältige Weise miteinander agieren lässt, die jedoch deutlich über ein realistisches Geschehen hinausführt.

Pop Mekhanika. Rock Club Leningrad Dezember 1985 Foto: E-E Kozlov

Pop Mekhanika. Rock Club Leningrad Dezember 1985 Foto: E-E Kozlov mehr>>



Dies stellt aber das Gegenteil einer kollektiven Aktion im herkömmlichen Sinne dar, wie sie etwa auf der Bühne des Rock Clubs während des Happy New Year Konzerts von Pop Mekhanika stattfand, als zahlreiche Musiker und Künstler eine riesige Leinwand bemalten mehr>>. Es ergibt sich aus der Sache selbst, dass bei solchen spontanen Malaktionen nur Werke im sogenannten „wilden“ Stil entstehen, der von Novikov immer wieder als typisch für die Neuen Künstler definiert wird, wobei das russische dikii eine Nuance ins Ungehobelte, Unzivilisierte hat.  Und zu diesem wilden Stil bildet Evgenij Kozlovs hochartifizielle Kunst die Antipode. Im Katalog zur Ausstellung der Neuen Künstler im MMOMA, Moscow Museum of Modern Art, 2012, kam die Kunsthistorikerin Ekaterina Andreeva zu dem Schluss, dass sich Novikov unter Kozlovs Einfluss schließlich vom wilden Stil abwandte.

Ich habe für Kozlovs Vorgehen den Begriff Transfiguration gewählt. Dieser Begriff wird in der Kunstgeschichte üblicherweise für Darstellung der Verwandlung oder Verklärung Christi verwandt. Hier ist aber keine Überwindung dunkler Kräfte gemeint im Sinne einer Erleuchtung oder einer sonstigen sakralen Wandlung der Figuren, auch wenn sich bei Kozlovs Porträts Parallelen zur religiösen Malerei finden lassen mehr>>. Sondern gemeint ist, dass der Künstler eine stoffliche Form in eine andere stoffliche Form umformt, oder wenn man so will, ein Bild nach seinen eigenen Vorstellungen in ein anderes Bild überführt, das er auf diese Weise verlebendigt. Damit  verleiht er den Figuren den Schein einer Geistigkeit. Ich habe das zu Beginn des Textes als Entwickelung von der Person zur Individualität beschrieben; man könnte es auch eine Überführung der Person in die Überzeitlichkeit oder Außerzeitlichkeit nennen, aber eben nur im Bild. Das klassische Beispiel dafür ist Leonardos Mona Lisa, aber es ist klar, dass ein Künstler 500 Jahre später andere Wege sucht.

Ich komme zu meiner Schlussbemerkung. Was das Bild der Neuen Künstler als Gruppe betrifft, so prägen sowohl Novikov als auch Kozlov dieses Bild mithilfe des Scheins, verwenden ihn aber auf höchst unterschiedliche Weise. Novikovs Texte wie auch seine späteren Erinnerungen regen uns an, ihre Faktizität zu überprüfen, um die zahlreichen Widersprüche auszuräumen, die sich bei einem Vergleich seiner Aussagen ergeben. Wir suchen den wahren Kern, worauf ich im Übrigen nicht wenig Zeit und Mühe verwendet habe.

Im Gegensatz zu Novikov gestaltet Kozlov seine Fantasie in seinen Bildern, und hier ist eine uneinheitliche Darstellung der Neuen Künstler kein Problem, weil der Weg von der Person zur Individualität verschieden gestaltet werden kann. Der Künstler macht verschiedene Vorschläge, die doch immer Schein bleiben, weil sie weder die abgebildete Person noch den Betrachter in irgendeiner Weise von ihrer Faktizität überzeugen wollen. Das ist übrigens auch der Grund, warum Kozlovs Porträts bei seinen Künstlerkollegen so hoch im Kurs standen – warum der 2013 verstorbene Georgy Guryanov eines dieser Porträts als Profilbild für seine Facebook-Seite gewählt hatte.

Georgy Guryanov. Facebook Profilbild mit (E-E) Evgenij Kozlovs Porträt von 1987. Screenshot 2017

Georgy Guryanov. Facebook Profilbild mit (E-E) Evgenij Kozlovs Porträt von 1987. Screenshot 2017



Man könnte allenfalls von einer künstlerischen Wahrheit sprechen in dem Sinne, ob eine bestimmte Darstellung die Individualität einer bestimmten Persönlichkeit besser zum Ausdruck bringt als eine andere. Gerade für Timur Novikov finden sich bei Evgenij Kozlov herausragende Beispiele.  Aber das wäre Gegenstand für einen anderen Vortrag.

Ausstellungskatalog Neue Künstler „De Nya från Leningrad“, Kulturhuset, Stockholm 1988 mehr>>
Cover: (E-E) Evgenij Kozlov “Porträt von Timur zu Pferd“, 1985, nach einer Performance 1985 (Fotografie)
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Hannelore Fobo, September 2021



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Uploaded 24 September 2021