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Hannelore Fobo: Die Neuen Künstler, Leningrad (1982-1989)
Wahrheit und Schein als Strategie bei Timur Novikov und als Transfiguration bei (E-E) Evgenij Kozlov Symposium Gegen(-)Kollektive • Leipzig, 10. September 2021
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Zunächst eine Kurzbeschreibung der Neuen Künstler. Das eigentlich Neue an den Neuen Künstlern war – und zwar nicht nur im Vergleich zu anderen nichtoffiziellen Leningrader Künstlergruppen, sondern auch zu offiziellen – dass viele ihrer Mitglieder außer in der Malerei auch in anderen Kunstgattungen tätig waren, in erster Linie Film, Fotografie, Prosa, Musik und Performance. Diese Neigung zum Universalismus, mit Larionovs „Alles-ismus“ verwandt, führte zu verschiedenen Formen der Zusammenarbeit, wovon die bekanntesten die Auftritte bei den Jazz-Rock-Folklore Konzerten von Sergey Kuryokhins Pop Mekhanika waren mehr>>. Pop Mekhanika (Popular Mechanics). Im Vordergrund: Sergey Kuryokhin. 1986, Jugendpalast Leningrad
Sucht man nach weiteren Eckpunkten der Neuen Künstler, so trifft man bald auf Schwierigkeiten. Die Gruppe wurde weder formell gegründet noch formell geschlossen, sie verfasste kein gemeinsames Manifest, war stilistisch gesehen ausgesprochen heterogen, und ihre Mitglieder sind bis auf einen Kern nicht eindeutig zu bestimmen. Dokumentarisch lässt sich der Name Novye Chudozhniki (Новые художники), Die Neuen Künstler, erst relativ spät belegen, zur Halbzeit der Gruppe, und zwar in den Texten, die Novikov 1985/1986 unter dem Pseudonym Igor Potapov, geschrieben hat. Zu diesem Zeitpunkt war die Gruppe von fünf auf fünfzehn oder mehr Mitglieder angewachsen, gewissermaßen um eine zweite Generation. Aus der Zeit vor 1985 existieren keine Texte, die sich direkt mit der Gruppe befassen, und daraus lässt sich schließen, dass die Zeit reif war, der Gruppe eine Biographie zu verleihen. Ob der Gruppenname bereits früher unter den Mitgliedern in Gebrauch war, ist im Rückblick nicht mehr festzustellen. Novikovs Texte aus jener Zeit zeigen, wie er mithilfe des Gruppennamens eine Gruppenidentität schafft und damit gleichzeitig Vergangenes neu kodifiziert. Dies sieht man anhand der Dokumente um die Ausstellung „Alles Gute zum Neuen Jahr“, der ersten größeren öffentlichen Ausstellung der Gruppe, die Ende 1985 im Leningrader Rock Club stattfand mehr>>. Dazu existiert ein handgefertigtes Plakat mit den Namen von zehn Künstlern und der Bezeichnung Vystavka (Выставка), „Ausstellung“. Das ist das erste der drei Dokumente. Links: Ausstellungsplakat ВЫСТАВКА (Ausstellung), Rock Club, Dezember 1985
Als dritte Stufe können wir Novikovs nachträglich angefertigten, getippten 12-seitigen Katalog zur Ausstellung bezeichnen mehr>>, in dem er sich (als Igor Potapov) wiederum auf seine Rezension bezieht. Damit legalisiert er seine Quelle. Hier erscheint der Gruppenname Neue Künstler auf der Titelseite, und es wird lediglich von zwei Gastkünstlern gesprochen, die aber namentlich nicht erwähnt werden. Gemeint sind Tager und Batisheva, die noch auf dem Plakat erscheinen. Das heißt aber nichts anderes, als dass Novikov die Vorgeschichte der Ausstellung als gemeinsames Projekt mit den Neoexpressionisten ad acta gelegt hat und diese jetzt zum originären Projekt der Neuen Künstler deklariert. Im selben Zug kodifiziert und nummeriert er zurückliegende Ausstellungen ebenfalls als Ausstellungen der Neuen Künstler. „Alles Gute zum Neuen Jahr“ erscheint als Nummer sechs. Timur Novikov. Fragment des Katalogs zur Ausstellung „Happy New Year“ mit nachträglicher Nummerierung der Ausstellungen der Neuen Künstler mehr>>.
Erstens eine Strategie der Historisierung, die über das erwähnte Beispiel der Rückwärtsnummerierung der Ausstellungen hinausgeht. Novikov nennt zwar das Jahr 1982 als Gründungsjahr der Neuen Künstler, führt diese jedoch bis ins Jahr 1977 zurück, als eine andere Gruppe gegründet wurde. Die Rede ist von Lеtopis, der sich die späteren neuen Künstler Novikov und Kozlov angeschlossen hatten. Das erlaubt Novikov, eine Kontinuität zu stipulieren. Auf diese Weise generiert er eine Tradition, die er mithilfe einer zweiten Strategie nach rückwärts bis zur russischen Avantgarde erweitert: Novikovs Grundaussage ist „Wir waren schon immer neu“. Diese zweite Strategie betrifft die Homogenisierung der Gruppe. In seinem Text „Die Neuen Künstler“ von 1986 schreibt Novikov, dass Mitte der 1980er Jahre, mit dem Anschluss weiterer Künstler an die Gruppe, zunächst Tendenzen internationaler Kunst wie der Figuration libre und Graffiti Art dominierten, diese Kinderkrankheiten aber bald überwunden wurden und die eigenen innovativen Traditionen westliche Einflüsse besiegten. Mit anderen Worten, Novikov behauptet eine synchrone stilistische Entwicklung der Neuen Künstler „back to the roots“, gewissermaßen im Gleichschritt zurück zur russischen Avantgarde, und widerspricht damit dem vom ihm selbst aufgestellten Prinzip des vsiotschestvo, Alles-ismus mehr>>. Die dritte Strategie zielt auf die wundersame Vermehrung der Neuen Künstler bei bestimmten Ereignissen, beispielsweise bei den Konzerten von Pop Mekhanika (Поп механика, Popular Mechanics). Dies erreicht Novikov durch die verschleierte Mehrfachnennung ein und derselben Person in diversen realen oder fiktiven Gruppen während eines Konzertes: als Künstler, Mitglied des Neuen Theaters und der Industrial, also Geräusch-Gruppe – aus eins mach drei. Damit erweckt er den Anschein einer Massenbewegung mehr>>. Dieser Seitwärtserweiterung der Neuen Künstler kommt ein neues sowjetisches Gesetz vom Mai 1986 zugute, das die Gründung von Amateurvereinen und Interessenclubs vorsieht. In der Hoffnung, auf diese Weise Clubräume zugewiesen zu bekommen, gründen Novikov und seine Freunde gleich zwei Clubs, und zwar den Club der Freunde W.W. Majakowskijs mehr>> und den Club der Liebhaber der Volkskunst mehr>>. Hierzu schreibt Novikov im oben erwähnten Text von 1986 – wobei er auch hier wieder das Cliché einer gemeinsamen Entwicklung der Mitglieder bedient: „Die Neuen Künstler gründeten den Club der Freunde W.W. Majakowskijs mit dem Ziel, vaterländische innovative Traditionen zu stärken und entwickeln. Fast alle Neuen Künstler sind ihm beigetreten, dazu die New Composers, Mitglieder des Neuen Theaters und der Band Kino, einige Rockmusiker, Kunstkritiker und Sammler mehr>>.“ Novikov selbst tritt in diesem Satz in mindestens vier Hypostasen auf: als Neuer Künstler, Mitglied des Neuen Theaters, Kunstkritiker und Sammler – aus eins mach vier. Ähnliches gilt für andere Mitglieder der hier aufgezählten Gruppen. Wie über mehrere Monate für beide Clubs ein Clubleben fingiert wird, inklusive Wahlen zum Vorstand und stellvertretenden Vorstand und der Schaffung von Sektionen mit jeweiligen Vorsitzenden (Literatur, Musik, Bildende Kunst, Kritik, Kino, Theater, Archiv bzw. Mode), ist ein äußert interessantes Thema. Ich habe mich damit ausführlich in meinem vor kurzem publizierten Artikel The New Artists and the Mayakovsky Friends Club befasst mehr>>. Als das Vorhaben schließlich nach einem Jahr, Ende 1987, nicht weiter verfolgt wird – vermutlich, weil das Ziel, Clubräume zu erhalten in weite Ferne gerückt ist –, sind die Namen der Clubs immerhin etabliert, und Sergei Bugaev und Timur Novikov behalten ihre Autorität verströmenden Titel für Ausstellungen im Westen – Bugaev als Vorsitzender des Clubs der Freunde W.W. Majakowskijs und Novikov als stellvertretender Vorsitzender und Leiter der Sektion der Bildenden Künste mehr>>. |
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